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Gibt es „Sexual Politics of Meat“?

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Auch zum Verzehr bestimmt? Eine aktuelle Werbung für den Mucha-Verlag mit einem sexuell präsentierten Männerkörper ohne Gesicht, den Frauenhände abgreifen. Ich vermute allerdings, dass der Mann stolz auf dieses Bild ist und dadurch an Selbstvertrauen gewonnen hat, und sich nicht abgewertet und objektiviert fühlte.

Was hat das Leben von Supermodel Heidi Klum mit dem eines Schweins aus einer Tierfabrik gemeinsam? Nicht viel, würde man meinen. Heidi Klum ist reich, bekannt, sehr beliebt und bewundert, hat 2,5 Millionen Likes auf Facebook und wirkt selbstbewusst und lebenslustig. Im Gegensatz dazu ist ein Schwein in einer Tierfabrik völlig unbekannt, leidet und stirbt hinter verschlossenen Türen, vegetiert auf Vollspaltenböden über dem eigenen Kot dahin, in ständigem Gedränge, ohne frische Luft, ohne Sonne, ohne auch nur irgendeine Lebensqualität. Wenn es männlich ist wurde es ohne Betäubung kastriert, in jedem Fall wurden ihm routinemäßig der Schwanz und die Zähne kupiert. Die Liste der schrecklichen Lebensumstände ließe sich verlängern.

Carol Adams, Autorin von „Sexual Politics of Meat“ (auf Deutsch im Guthmann-Peterson Verlag als „Zum Verzehr bestimmt“ erschienen), sieht dennoch Parallelen. In einem 3-stündigen Workshop, den ich besucht habe, argumentiert sie mit Symbolismen. Dass eine Weltraumrakete vom Phänotypus her einem erigierten Penis ähnlich sehe, belege eine ähnliche Motivation hinter dem Vordringen in den Weltraum und dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr eines Mannes mit einer Frau. Oder wenn der männliche Jäger auf ein Tier schießt, dringt die Kugel in den Körper des Opfers ein, wie der Penis in die Vagina. Die patriarchale Eroberung des Weltraums wird zur sexuellen Eroberung der Frau, die Jagd auf Tiere zur Jagd auf Sexualpartnerinnen. Adams geht es nicht um „gender politics“ sondern um „sexual politics“, also nicht um die Rolle der Geschlechter in der Gesellschaft, sondern um die sexuelle Konotation von tierausbeuterischen Handlungen.

Als Kernstück des Vortrags in ihrem Workshop wurde eine Serie von Fotos von weiblichen Models, die damit verschiedene Produkte bewerben, jeweils einer Fleischwerbung gegenüber gestellt. Schweine oder Puten als Cartooncharakter würden zur Bewerbung ihres Fleisches ähnliche Posen einnehmen, wie die weiblichen Models. Als Höhepunkt des Workshops bat Adams einen Mann unter den 10% männlichen TeilnehmerInnen auf die Bühne, projizierte Fotos von Models daneben an die Wand und forderte die anwesenden Personen auf, ihn durch Zurufe dazu zu bringen, ähnliche Posen wie die Models einzunehmen. Die Frauen waren mit Begeisterung bei der Sache und schrien mit so viel bissiger Aggression ihre Anweisungen heraus, dass die Situation schon fast zu eskalieren drohte. Dann brach Adams die Sache ab und fragte den Mann, wie es ihm gehe. Befriedigend wurde von den Anwesenden zur Kenntnis genommen, dass er sich sehr unwohl und objektiviert gefühlt hatte. Doch waren die Situationen vergleichbar? Die Models in Fotoshootings fühlen sich schön und bewundert. Bei diesem Mann im Saal voller aggressiver Personen, die ihm Kommandos zuriefen, ihn auslachten und Beleidigungen johlten, war das Gegenteil der Fall.

Adams sieht in der Objektivierung von weiblichen Models zu Werbeaufnahmen und in der Objektivierung von Schweinen als Fleischlieferanten in Tierfabriken so starke Parallelen, dass sie meint, feministisch gesinnte Personen müssten deshalb vegetarisch leben. Hinter beidem stünde dieselbe Ursache: das Patriarchat. Sie nennt das eine „feministisch-vegetarische Theorie“. Im Feminismus gibt’s natürlich dazu auch Gegenstimmen, so kommt Kathryn Paxton George z.B. aus ihrer feministischen Gesellschaftsanalyse zum gegenteiligen Schluss: die Forderung nach Vegetarismus sei ein patriarchales Komplott von Männerbünden, die Frauen dadurch körperlich schwächen und beherrschbar machen wollen.

So sehr ich mich grundsätzlich über Stimmen für Vegetarismus freue und Carol Adams als sympathischen Menschen kennenlernen durfte, so empfinde ich doch einen Vergleich zwischen weiblichen Supermodels und Schweinen in Tierfabriken als nachgerade zynisch. Bei ersteren kann ich überhaupt kein Leid verorten, bei zweiteren besteht das Leben aus nichts Anderem. Ein solcher Zugang relativiert das unermessliche Tierleid in einer Weise, die dazu beiträgt, es nicht in diesem Ausmaß ernst zu nehmen, das es verdient. In den vielen Model-Castingshows, die momentan auf allen TV-Sendern laufen, kann man Fotoshootings und die Persönlichkeitsentwicklung junger Models verfolgen. Gute Models, die gute Fotos abliefern, zeigen Charisma, großes Selbstvertrauen und fühlen sich schön. Erst wenn der Funke ihrer Ausstrahlung überspringt, wird das Shooting erfolgreich. Es ist also gerade ihre Subjektivität, die die Bilder interessant werden lässt. Und sie bekommen viel Geld dafür und handeln freiwillig, ja reißen sich sogar um die Chance. Die Schweine dagegen werden auf ihren Körper reduziert. Da gibt es gar keine Subjektivität mehr, da zählt nur die Menge an Fleisch, die sie liefern. Die Befriedigung ihrer Bedürfnisse wird auf das absolute, biologisch notwendige Limit reduziert. Und sie erhalten nichts dafür, außer ein Messer in die Gurgel! Und der zentrale Unterschied: die Schweine sind nicht freiwillig dort. Sie werden mit Gewalt dazu gezwungen. Ist dieser Vergleich nicht etwas zu weit hergeholt?


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